
2020 sollte eines der interessantesten Sportjahre der letzten Jahrzehnte werden! Neben jährlichen Veranstaltungen wie der Tour de France oder der Formel 1 standen auch Highlights wie die Fußball-EM, Eishockey-WM in Lausanne oder die Schwimm-EM in Budapest an – und auch die Olympischen Spiele in Tokyo. Dann überraschte uns eine lange nicht da gewesene Situation – eine weltweite Pandemie. Und brachte weit reichende Konsequenzen für die Trainingsplanung unserer Olympioniken mit sich.
Auf einen Blick
- Die Trainingsplanung im Hochleistungssport ist immer auf bestimmte Höhepunkte wie z.B. die olympischen Spiele ausgerichtet. Bei Olympioniken richtet sich das Training nach dem Olympiazyklus.
- Die Verschiebung solcher Events durch die Coronaviruspandemie zwingt die Athleten zusammen mit den eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten dazu, ihr Training neu zu strukturieren und zu planen.
- Grundsätzlich ist der Olympiazyklus unterteilt in Makro-, Meso- und Mikrozyklen, welche mit entsprechenden Trainingsinhalten gefüllt werden.
- Zwar haben die Athleten jetzt ein Jahr mehr Zeit sich auf Olympia vorzubereiten, allerdings müssen sie ihr Training neu planen und auch die nach einem Olympiazyklus benötigte Erholungsphase verschiebt sich ein Jahr nach hinten.
Trainieren ja, aber unter welchen Voraussetzungen?
Angesichts des Corona-Virus haben die japanische Regierung und das Internationale Olympische Komitee (IOC) beschlossen, die Olympischen Spiele auf das Jahr 2021 zu verschieben. Bis zu dieser endgültigen Entscheidung am 24.03.2020 wurden die Athleten vom Präsidenten IOC aufgefordert, sich doch weiter auf die Spiele vorzubereiten. Die Frage, die sich hier unter sportwissenschaftlichen Aspekten stellt, ist „wie kann man sich als Athlet unter gleichen und adäquaten Bedingungen vorbereiten?“.
Ein Beispiel hierfür ist der Schwimmsport. Ohne Trainingsmöglichkeiten im Wasser, ist es unter trainingswissenschaftlichen Aspekten nur schwer möglich, sich auf ein so immens wichtiges Event vorzubereiten. Im Schwimmen sind die Schnellkraft und im Besonderen die Explosivkraft bei Start und Wende wichtige Aspekte (Schumann & Rönnestad, 2019). Diese können mit ausreichendem Equipment auch zu Hause trainiert werden. Jedoch ist das „trockene“ Training mit Zugseilsystemen oder Schwimmbänken kein adäquater Ersatz für das Wassertraining. Es können nicht die gleichen Trainingseffekte erreicht werden (Aspenes & Karlsen, 2012). Im Schwimmen kommen z.B. hydrodynamische Kräfte wie der Gegendruck des anströmenden Wassers hinzu, die den Schwimmzug beeinflussen.
Auch in anderen Sportarten, wie z.B. dem Rudern und gerade dem Ruderachter, ist ein Einzeltraining sicherlich nicht umsonst, aber auf Dauer nicht angemessen. Im Boot kommt es auf Synchronisation und Teamarbeit an. Gerade in den letzten Trainingszyklen vor Olympia, wo es auf die Trainingsspezifik im Trainingsplan ankommt, ist das nicht ausreichend. Eine Verschiebung der Olympischen Spiele bedeutet also hier und auch bei allen anderen Sportarten eine komplette Neustrukturierung der Trainingsplanung. Die Vorbereitung auf das Großevent eines Athleten ist ein großer und bis in die kleinste Trainingseinheit durchstrukturierter „Olympiazyklus“.
„Die letzten Wochen, Monate, ja eigentlich Jahre waren auf das olympische Finale ausgerichtet.“ (Hannes Ocik, Ruderachter, Tagesschau vom 24.03.2020)
Trainingsplanung für Olympia – was ist ein „Olympiazyklus“?
Der „Olympiazyklus“ begann mit den letzten olympischen Spielen 2016 und sollte am 24.06.2020 enden. In der Regel werden diese vier Jahre in sogenannte Makro-, Meso- und Mikrozyklen eingeteilt. Dabei kann ein Makrozyklus ein Jahr, aber auch mehrere Monate lang sein. Ebenso kann ein Mesozyklus mehrere Monate, aber auch nur einige Wochen dauern und ein Mikrozyklus mehrere Tage oder nur eine Einheit betreffen. Die Länge und Einteilung ist hierbei abhängig von vielen Faktoren. Dies können personelle Faktoren sein (Trainer, Athlet), vor allem aber Zwischenziele wie Qualifikationswettkämpfe, an welchen eine bestimmte Bestleistung vorhanden sein sollte, um sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Die Zyklen lassen sich wiederum mit verschiedenen trainingsspezifischen Inhalten füllen.

Regenerationsphase
Zumeist ist es üblich, nach dem letzten Hauptevent erstmal eine Regenerationsphase einzubauen. Hier kann der Athlet alternativ trainieren, z.B. gehen Schwimmer auf das Rad oder Läufer machen Aquajogging. Dies gibt dem Körper Gelegenheit, wieder Energie zu schöpfen und beugt einem Übertraining vor. Auch mental sollten die Athleten hier herunterfahren können. Strukturen wie Sehnen und Bänder werden in dieser Phase entlastet.
Von der Grundlage zur Spezifik
Danach werden in vielen Sportarten die Grundlagen gelegt. Beispiele hierfür sind extensive Einheiten, um die maximale Sauerstoffaufnahme zu verbessern und die Strukturen langsam wieder auf mehr Belastung vorzubereiten. Anschließend oder parallel wird oft mit dem Maximalkrafttraining begonnen, wenn schon ein ausreichender Muskelquerschnitt vorhanden ist. Sollte dies nicht der Fall sein, wird der Muskelquerschnitt durch gezieltes Hypertrophietraining erhöht. Der Querschnitt bleibt auch bei dem anschließenden Maximalkrafttraining erhalten. Die Maximalkraft dient schließlich als Grundlage für die darauffolgenden, spezifischeren Zyklen der Schnellkraft, Explosiv- und Reaktivkraft (Haff & Nimphius, 2012).
Natürlich unterscheiden sich auch hier die genauen Inhalte abhängig von der schon vorhandenen Hypertrophie und vor allem nach der Sportart. Ein Läufer sollte seine Maximalkraft bei 80-85% des 1-Wiederholungsmaximum (1RM) trainieren. Ein Radfahrer hingegen profitiert von Krafttraining mit exzentrischen Komponenten und ein Schwimmer kann sich durch Explosivkrafttraining Vorteile bei Starts und Wenden verschaffen.
Tapering
Bis zum nächsten großen Wettkampf, wie z.B. einem Qualifikationswettkampf, werden die Trainingsinhalte immer spezifischer auf die Anforderungen der Sportart ausgerichtet und enden oft mit einer Taperphase vor dem Wettkampf. Die Dauer des Taperings ist abhängig von der Sportart und kann Tage bis Wochen dauern. Charakterisiert ist diese Phase durch eine Verringerung des Trainingsvolumens. Die Intensität der Trainingseinheiten ist unverändert oder sogar höher. Das Tapering dient der Superkompensation vor dem Wettkampf. Superkompensation bedeutet, dass man durch adäquate Regeneration nach einer sehr intensiven Einheit oder Phase eine über das Ausgangsniveau hinausgehende Performance erlangt. Diese sollte durch genaue Trainingsplanung am Wettkampftag erreicht werden (LeMeur et al., 2012; Bosquet et al., 2007, United States Olympic Comitee, 2014).
Nach jedem Wettkampf beginnen die Zyklen erneut. Die Gestaltung der folgenden Zyklen ist wieder sehr individuell und richtet sich nach dem übergeordneten Makrozyklus. Das heißt, wenn der nächste Wettkampf sehr nahe liegt, wird z.B. eher davon abgesehen, nochmal einen Grundlagenzyklus zu absolvieren. Dann ist es wichtiger, das spezifische Training aufrecht zu erhalten und möglichst weiter auszuarbeiten. Das kann beispielsweise erforderlich sein, wenn man sich durch einen Wettkampf noch nicht qualifizieren konnte. Und viele deutsche Sportler hatten sich eben zu Beginn des Jahr 2020 noch nicht für Olympia qualifiziert. Sie haben die letzten vier Jahre immer wieder Makro- bis Mikrozyklen durchlaufen, um in diesem Jahr ihre maximale Leistung zu erreichen.
Verschiebung der Spiele – Erleichterung und Enttäuschung zugleich
Bisher haben sich erst die Hälfte der Athleten für Olympia qualifiziert und das letzte (halbe) Jahr vor den Spielen ist entscheidend. Jetzt wurden jedoch durch die Corona-Pandemie Qualifikationswettbewerbe verschoben oder abgesagt und Athleten konnten wegen der Corona-Krise seit Wochen nicht mehr angemessen trainieren. Man könnte meinen, dass es ja gut sei, wenn die Athleten jetzt noch mehr Zeit haben, sich bis 2021 auf die olympischen Spiele vorzubereiten. Jedoch sollte durch diesen Artikel deutlich geworden sein, dass das Training der letzten Jahre darauf ausgerichtet war, gerade in diesem Jahr den eigenen Leistungshöhepunkt zu erreichen. Es ist nun äußerst schwierig – auch mental – das bis jetzt erreichte Maximum bis in das Jahr 2021 zu tragen.
Theoretisch benötigen Körper und Psyche bald eine „Pause“ die unter den Bedingungen einer Verschiebung nur schwer durchzusetzen ist. Hier bedarf es einer genauen Planung der Trainingszyklen bis 2021 und einer Feinjustierung des Trainingsloads, um den Leistungsstand zu erhalten oder zu steigern und einem Formverlust durch Übertraining vorzubeugen.
Quellen
Aspenes, S. T., & Karlsen, T. (2012). Exercise-training intervention studies in competitive swimming. Sports medicine, 42(6), 527-543.
Bosquet, L., Montpetit, J., Arvisais, D., & Mujika, I. (2007). Effects of tapering on performance: a meta-analysis. Medicine & Science in Sports & Exercise, 39(8), 1358-1365.
Haff, G. G., & Nimphius, S. (2012). Training principles for power. Strength & Conditioning Journal, 34(6), 2-12.
Le Meur, Y., Hausswirth, C., & Mujika, I. (2012). Tapering for competition: A review. Science & Sports, 27(2), 77-87.
United States Olympic Comitee, (2014). Tapering for endurance athletes. https://pdfs.semanticscholar.org/4ea2/b4890b3672a3b7e0f8fc291791bf706f5425.pdf
Schumann, Moritz; Rønnestad, Bent R. (Hg.) (2019): Concurrent Aerobic and Strength Training. Scientific Basics and Practical Applications. Cham: Springer International Publishing.
Kommentar Hannes Ocik (2020). Tagesschau vom 24.03.2020. https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-679597.html