Training mit Gewichtsweste – der Booster in COVID-Zeiten?

Training mit Gewichtsweste

Sport im Freien wird immer beliebter – nicht zuletzt bedingt durch die COVID-19-Pandemie. Ob reines Ausdauertraining für einen Marathon, Intervallläufe zum Auspowern oder aber Training mit dem eigenen Körpergewicht – die Möglichkeiten sind zahlreich. Doch trotz der ausgefeiltesten App kann es hier und da doch eintönig werden. So sucht der ambitionierte Sportler beim Laufen oder bei Gymnastics-Übungen nach einem neuen Trainingsreiz. Eine Möglichkeit bietet der Einsatz einer Gewichtsweste. Diese sind beispielsweise in der Trendsportart CrossFit beliebt und kommen in den Workouts immer mal wieder zum Einsatz. Doch lohnt sich das Laufen mit Weste für alle Sportler? Oder sind Liegestütze mit Weste effektiver und bringen einen größeren Trainingseffekt? Wir haben nach Studien Ausschau gehalten.

Auf einen Blick

  • Das Training mit Gewichtsweste führt bei Explosivkraftsportlern zu Verbesserungen der Sprungkraft und Explosivkraft.
  • Bei Ausdauersportlern kann das Training mit der Gewichtsweste die Ausdauerleistungsfähigkeit verbessern.
  • Sprintzeiten können ebenfalls verbessert werden.
  • Beim Training mit eigenen Körpergewicht konnten bisher keine signifikanten Vorteile einer Gewichtsweste festgestellt werden.

Lauftraining mit Gewichtsweste

Beim Lauftraining mit Zusatzgewicht gibt es grundsätzlich verschiedene Ansätze. Entweder das Gewicht wird an den Knöcheln oder den Handgelenken getragen oder „körperstammnah“ – das heißt in Form einer Gewichtsweste mit unterschiedlich schweren Platten an Brust und Rücken.

Für erste Untersuchungen gehen wir zurück ins Jahr 1984. Die Arbeitsgruppe um Bosco hat in einer kleinen Studie an 11 gut trainierten Explosivkraftsportlern (Werfer und Springer) untersucht, wie sich eine dreiwöchige Hypergravity-Trainings-Episode auf die Ergebnisse auswirkt.1 Hier wurde die Weste nicht nur während der Trainingseinheit, sondern den ganzen Tag getragen.

Untersucht wurden Parameter der Sprungkraft und Explosivkraft. Und siehe da – diese verbesserten sich in der „Westengruppe“ gegenüber der Kontrollgruppe signifikant. Interessanterweise fielen die Werte nach 4 Wochen aber wieder auf den Ausgangswert zurück. Der Test nach 4 Wochen wurde damals allerdings leider nicht in der Kontrollgruppe durchgeführt. Wir wissen also nicht, ob die Kontrollgruppe ebenso nach 4 Wochen wieder abgebaut hat. Als ursächlich für den Erfolg des Trainings mit Gewichtsweste werden eine bessere Ansteuerung der schnellen Muskelfasern und eine möglicherweise bessere ATP-Re-Synthese diskutiert. Letzteres wurde aber nicht untersucht.

Training mit Gewichtsweste kann auch für Ausdauerathleten sinnvoll sein

Wiederum haben Bosco und Rusko 3 Jahre später an einer kleinen Gruppe Ausdauerathleten die Auswirkungen von dem Tragen einer Gewichtsweste (9-10% des Körpergewichts) studiert. Ein Gruppe mit 6 Probanden trug die Weste durchgehend über 4 Wochen – auch bei jedem Training. Weitere 6 Probanden ließen die Weste bei jedem zweiten Training weg, aber trugen sie ansonsten auch über 4 Wochen ganztägig. Weitere 12 Probanden bildeten eine Kontrollgruppe, die keine Weste trug.2

Wir machen es kurz: Auch hier scheint die Aktivierung der Fast-Twitch Muskelfasern eine Rolle zu spielen: Die aerobe Performance fiel direkt nach dem Test ab, der anaerobe Metabolismus nahm zu. Hier führten die Autoren als Erklärung die zeitlich frühere und bei niedrigerer Intensität stattfindende (Mit)aktivierung der FT-Fasern (mit eher anaerobem Stoffwechsel) an. Ebenso interpretierten sie aber eine erhöhte Sauerstoffaufnahme bei submaximaler Belastung und höhere Laktatspiegel ohne Verbesserung der Zeit bis zur Erschöpfung (bei einem Laufbandtest mit gleichbleibender Geschwindigkeit) als herabgesetzte Laufökonomie – passend aber zu einer höheren anaeroben Stoffwechsellage durch vermehrtes Nutzen von Fast Twitch-Fasern.

Aber jetzt wird es spannend: Nach einer 2-wöchigen Recovery Phase verbesserten sich die Werte! Die maximale Sauerstoffaufnahmekapazität verbesserte sich minimal von 69,1 auf 70,8 ml/kg/min. Wir reden hier also schon von guten Ausdauersportlern auf hohem Niveau. Die Zeit bis zur Erschöpfung auf dem Laufband bei gleichbleibender Geschwindigkeit verlängerte sich von 39 auf 49 Sekunden! Eine Erklärung dieses Phänomens blieben uns die Autoren jedoch schuldig.

Laufen mit Gewichtsweste
Auch für Läufer kann ein Training mit Gewichtsweste Vorteile haben

Gewichtswestentraining für Sprinter

Macdam und Kollegen haben sich in ihrer Meta-Analyse unter anderem mit den Auswirkungen von einer Gewichtsweste auf die Sprintzeiten (10-50 m) auseinandergesetzt.3 Umfang und Art des Trainings variierten zwar in den einzelnen Studien, aber die Sprintzeiten wurden nach Training mit Weste tatsächlich besser. 3 von 5 der ausgewerteten Studien nutzten aber das angesprochene Hypergravity Training. Auch zur Dauer des Trainingszyklus mit Weste ergab sich zumindest ein kleiner Hinweis – eine Trainingsperiode von (nur) 8 Tagen reichte nicht für signifikant bessere Ergebnisse im Sprinten. Aber wie so oft: genaue Daten über die Trainingsdauer, Dauer der einzelnen Einheit oder gar das zu wählende Zusatzgewicht fehlen. Es scheint aber, dass das klassische Gewicht (20 lbs – ca 9 kg), wenn es >10% des Körpergewichts beträgt, bereits ausreicht.

Simpson et al haben in einer kleinen Studie an 19 Frauen zusätzlich untersucht, ob sich das Gleichgewichtsgefühl in einem dreiwöchigen Training mit Zusatzgewichten verbessert.4 Das Resultat: Leider zeigt sich hier keine Überlegenheit des Trainings mit Zusatzgewicht. ABER: Das Training mit Gewichtsweste hat das Gleichgewicht auch nicht verschlechtert.

Nichtsdestotrotz sollte das Einführen der Gewichtsweste, insbesondere beim Sprinten, vorsichtig erfolgen: Nicht nur Muskeln müssen sich adaptieren, was ja dem gewünschten Effekt entspricht. Auch Bänder, Knorpel, Sehnen und Knochen sollten gerade am Anfang nicht überstrapaziert werden. Es gilt also: langsamer Beginn – ausreichend Regeneration – langsame Steigerung der Intensität.

Gewichtswesten beim Training mit dem eigenen Körpergewicht

Swain et al. haben 2010 insgesamt 43 Teilnehmer randomisiert auf 2 Gruppen verteilt: Eine Gruppe trainierte mit Gewichtweste (2 Wochen 4-5 kg; 4 Wochen 8-10 kg), die zweite Gruppe trainierte ohne Weste. Nach 6 Wochen wurden schließlich beide Gruppen verglichen.5

Untersucht wurden die VO2max, die maximale Anzahl an Push-Ups und Sit-Ups in 2 min, die maximale Wiederholungszahl an Pull-Ups bis zur Ermüdung, ein Laufbandtest mit Steigerung der Geschwindigkeit und des Winkels (max 20 %) bis zur Erschöpfung, ein 3-Meilen-Lauf, ein Shuttle run (12×23 m) und der Körperfettanteil.

Zu den Ergebnissen: Der Körperfettanteil verbesserte sich in beiden Gruppen signifikant, jedoch gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Ebenso verbesserten sich beide Gruppen in den einzelnen Disziplinen, zwischen der Gruppe mit und der Gruppe ohne Gewichtsweste gab es auch hier keine Unterschiede. Auch die VO2 max verbesserte sich in beiden Gruppen, mit einem nicht-signifikanten Trend zu einer ausgeprägteren Verbesserung in der „Westengruppe“. Auch schrammte eine niedrige Maximalherzfrequenz der Gruppe mit Gewichtsweste knapp an der Signifikanz vorbei. Ebenso war die Verbesserung im Laufbandtest nahezu doppelt so groß, aber nicht statistisch signifikant. Die Autoren nahmen eigentlich an, dass Training mit Weste zu einem größeren, signifikanten Effekt als ohne führen würde. Dies wurde in dieser Untersuchung leider nicht bestätigt. Sie schlussfolgerten aber, dass eine längere Trainingsphase und mehr Gewicht die gesehenen Trends „verstärken“ und zu einer signifikanten Überlegenheit führen würde.

Gesagt- getan: 33 Probanden – Kontrollgruppe gegen eine Westengruppe – Gewicht ansteigend im Verlauf bis 20 kg für Frauen/ 30 kg für Männer – über 9 Wochen – untersucht von Swain und Kollegen.6 Was kam heraus? Nichts. Zumindest nicht die erhoffte Siginifikanz. Beide Gruppen verbesserten sich – ohne signifikanten Unterschied.

Adäquater Trainingsreiz möglicherweise auch ohne Gewichtsweste schon vorhanden

Aber warum? Swain und Kollegen führen eine interessante These an. Neben dieser Studie zeigten sich ähnliche Effekte auch in anderen Studien mit Rekruten, in denen beispielsweise verschiedene Trainingsansätze kombiniert (Krafttraining, Ausdauertraining oder kombiniertes Training) oder Studien, in denen eine Gruppe additiv Gewichtheben durchführte. Auch hier erreichten Kontroll- und Interventionsgruppen gleich gute Verbesserungen. Möglicherweise war das Zusatztraining bei diesen Probanden gar nicht mehr notwendig. Denn der „Stress“ (sprich der gewünschte Reiz) war bereits durch das alleinige Training (in diesem Fall bereits durch Training ohne Weste) bereits ausreichend. Zusätzliches Training war dementsprechend nur das „Einrennen von offenen Türen.“ Möglicherweise war so die maximale Intensität für eine Adaption bereits durch das Training ohne Weste bei weniger gut trainierten Probanden erreicht.

Leistung ist mit Zusatzgewicht nicht immer am größten

Hierzu vielleicht ein kleiner Ausflug zu einer Studie von Wang und Kollegen7: Die Forschergruppe hat bei 3 Gruppen, eingeteilt nach dem 1RM  (1 Repetition Maximum) beim Bankdrücken (112  kg; 95 kg; 131 kg) den Power Output beim „ballistic push up“ mit verschiedenen Zusatzgewichten gemessen. Ergebnis: Beim „ballistic push up“ mit dem reinen Körpergwicht war der Power Output (Peak Power/Spitzenleistung) am höchsten! Dies könnte also den mangelnden, aber im Vorfeld zumindest theoretisch plausibel erwartbaren Trainingseffekt der Weste erklären. Welche Form der Belastung (Intensität, Kraftausdauer, Maximalkraft, maximale Leistung) als Parameter für ein effektives Training am besten ist, wird in der Wissenschaft immer wieder diskutiert – das würde hier den Rahmen sprengen. Hieraus ließe sich aber – wiederum sehr vereinfacht – ableiten, dass ohne Gewicht eine höhere Peak Power erzielt wird und somit der Trainingseffekt so auch ausreichen könnte.

Dem einen oder anderen ist es aber vielleicht schon aufgefallen: die größere (aber nicht signifikante) Verbesserung im Laufbandtest bei den Rekruten mit Zusatzgewicht in Swains Studie passt gut zu den Ergebnissen anderer Studien unter Läufern.5 Auch in der Population mit Swain et al. könnte so eine bessere Aktivierung der Fast Twitch-Fasern bei Training mit Zusatzgewicht zu einer größeren Verbesserung geführt haben.

Zusammenfassung

Das Training mit zusätzlichem Gewicht ist eine Möglichkeit, in seinem Training neue Reize zu setzen. Nach bisherigem wissenschaftlichem Stand – bei insgesamt eher kleiner Anzahl an Studienteilnehmern – scheint es (bei langsamem Beginn) gut durchführbar und es gibt keine Hinweise darauf, dass sich das Gleichgewicht darunter verschlechtert. Gerade im Laufsport scheint bei gut trainierten Sportlern durch das Training mit Gewichtsweste eine verstärkte Aktivierung von Fast Twitch-Fasern zu erfolgen und es zeigen sich Verbesserungen im submaximalen Belastungsbereich.

Bei Körpergewichtsübungen ist die Lage etwas anders: hier scheint das Training mit Weste gegenüber einem Training ohne Weste bei Nicht-Spitzen-Sportlern (durchschnittliche Pull-Ups ca. 6; 3 Meilen-Lauf zwischen 25 und 27 min, 50-67 Sit-Ups und 31-43 Push-Ups in 2 min) keine Vorteile zu bieten. Denkbar ist jedoch, dass auch hier einer Phase der Stagnation mit dem Einsatz einer Gewichtsweste begegnet werden und (hypothetisch) bei bereits gut trainierten Sportlern einen zusätzlichen Effekt haben könnte.

Zumindest bringt die Gewichtsweste aber immer mal wieder Abwechslung in das Training. Und wie so oft: es bleibt noch mehr als genügend Raum für weitere Studien und Forschung.

Quellen

  1. Bosco, C. et al. The influence of extra load on the mechanical behavior of skeletal muscle. Eur. J. Appl. Physiol. 53, 149–154 (1984).
  2. Rusko, H. & Bosco, C. C. Metabolic response of endurance athletes to training with added load. Eur. J. Appl. Physiol. 56, 412–418 (1987).
  3. Macadam, P., Cronin, J. B. & Feser, E. H. Acute and longitudinal effects of weighted vest training on sprint-running performance: a systematic review. Sports Biomech. 1–16 (2019) doi:10.1080/14763141.2019.1607542.
  4. Simpson, J. D., Miller, B. L., O’Neal, E. K., Chander, H. & Knight, A. C. External load training does not alter balance performance in well-trained women. Sports Biomech. 17, 336–349 (2018).
  5. Swain, D. P., Onate, J. A., Ringleb, S. I., Naik, D. N. & DeMaio, M. Effects of Training on Physical Performance Wearing Personal Protective Equipment. Mil. Med. 175, 664–670 (2010).
  6. Swain, D. P., Ringleb, S. I., Naik, D. N. & Butowicz, C. M. Effect of training with and without a load on military fitness tests and marksmanship. J. Strength Cond. Res. 25, 1857–1865 (2011).
  7. Wang, R. et al. Effects of Different Relative Loads on Power Performance During the Ballistic Push-up. J. Strength Cond. Res. 31, 3411–3416 (2017).
Thomas Okon
Über Thomas Okon 3 Artikel
Dr. Thomas Okon ist Arzt in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Seine Wurzeln hat er in der Inneren Medizin, er besitzt zudem die Zusatzbezeichnung Sportmedizin. Thomas ist leidenschaftlicher „CrossFitter“ und ist CrossFit Level 1 Coach. Zudem ist er Concept2-Indoor Rower Instructor. Neben dem CrossFit gehören Lauftraining, Radsport und Kitesurfen zu seinen sportlichen Aktivitäten.