
Welche Vorteile haben Physiotherapie und Kortison bei Erkrankungen der Rotatorenmanschette? Dazu ist gerade eine Studie im Lancet erschienen, die wir uns hier näher anschauen. Hier handelt es sich um den Artikel von Hopewell et al. zu „Progressive exercise compared with best practice advice, with or without corticosteroid injection, for the treatment of patients with rotator cuff disorders (GRASP): a multicentre, pragmatic, 2 × 2 factorial, randomised controlled trial“.1
Auf einen Blick
- Das Impingementsyndrom ist ein häufiges Krankheitsbild in Orthopädie, Sport- und Allgemeinmedizin.
- Die Datenlage über verschiedene Therapieoptionen ist bisher geprägt von eher kleinen und zu kurzen Studien.
- Hopewell et al. verglichen in einer prospektiven, randomisierten, kontrollierten Studie mit 704 Patienten progressive Physiotherapie (PT) mit einem best-practice-Advice-Termin (BPA; einmalige Anleitung; 60 min). Dies wurde bei einem Teil der Studienteilnehmer in beiden Gruppen von einer subacromialen Kortison-Injektion begleitet.
- Bezüglich des Outcomes im SPADI-Score zeigten sich signifikante Verbesserungen nach 12 Monaten bei allen 4 Studienarmen.
- Zwischen den 4 Studienarmen (PT+Kortison vs. BPA+Kortison vs. PT ohne Kortison vs. BPA ohne Kortison) gab es keine signifikanten Unterschiede.
- Einzig die Kortisongruppe zeigte nach 8 Wochen eine verbesserte Schmerzsymptomatik und damit eine bessere Adhärenz zu den Übungen.
- Im NHS (britisches Gesundheitssystem) ist die Kortisoninjektion zusammen mit dem „best-practice-Advice“ die kosteneffektivste Methode.
Was tun bei Erkrankungen der Rotatorenmanschette?
Rotatorenmanschettenerkrankungen und das Impingementsyndrom sind sowohl in der Allgemeinmedizin, Sportmedizin und Orthopädie häufige Krankheitsbilder. Sie verursachen oft erhebliche Einschränkungen in Sport, Alltag und/oder Beruf. Für einen Überblick über Ätiologie, Klassifikation, Diagnostik und die verschiedenen Therapieansätze inklusive Video zu einigen Übungen verweisen wir auf unseren Artikel über das Impingement-Syndrom. Physiotherapeutische Beübung, selbstständig durchgeführtes Krafttraining und Kortisoninjektionen sind einige Ansätze in der Therapie. Welchen wissenschaftlichen Stellenwert sie haben, ist nicht ganz klar. Studien zu den verschiedenen Verfahren sind häufig zu klein oder zu kurz angelegt. Hopewell und Kollegen bringen hier mit der GRASP-Studie1 nun ein wenig Evidenz in das „therapeutische Dunkel“.
Aufbau der GRASP-Studie
In der randomisierten, kontrollierten Studie, die im Juli diesen Jahres im „The Lancet“ (Impact Factor 79,3!) publiziert wurde, verglich die Arbeitsgruppe um Hopewell in einem 2×2-Design (siehe Abbildung) die eigenständige Übungsdurchführung nach „best practice advice“ (60min direkte Einweisung der Patienten, durchgeführt von einem geschulten Physiotherapeuten; Demonstration der Übungen; Videos zum Nachschauen; Arbeitsblätter) mit klassischer Physiotherapie (max. 6 Sitzungen mit einem Physiotherapeuten über 16 Wochen, ebenso Eigenübungen und Arbeitsblätter).

Diese beiden Gruppen wurden dann noch einmal unterteilt in die Gruppen mit Kortisoninjektion (Triamcinolon oder Methylprednisolon zusammen mit max. 40 mg Lokalanästhetika z.B. Lidocain oder Bupivacain) oder ohne Kortison. Eine zweite Injektion nach 6 Wochen war bei Bedarf möglich, wurde aber nur bei 2 Patienten durchgeführt. Die wichtigsten Einschlusskriterien sind in der Abbildung zu sehen. Bezüglich der Diagnostik wurde sich an die die BESS-Guidelines (British Elbow and Shoulder Society) gehalten. Die Studie ist ausreichend gepowert, sauber durchgeführt und nur wenige Patienten wurden zum Follow-up verloren. Weitere Angaben zur Methodik (Übungen, Gestaltungen des Arbeitsblattes etc.) sind in einem weiteren Paper nachlesbar.2
Ergebnisse
Das Ergebnis ist überraschend: Der SPADI-Score (von 0 bis 100; geringer ist besser), fiel ausgehend von einem Wert von 54 in allen Gruppen (keine statistischen Unterschiede) auf ca. 30 in allen Gruppen. Er hatte sich somit signifikant verbessert, aber ohne einen signifikanten Unterschied zwischen den 4 Gruppen. Einzig 8 Wochen nach Randomisierung zeigte die Gruppe mit der Kortisoninjektion einen signifikant verbesserten SPADI- Score und damit eine bessere Durchführung der Übungen.
Die Adhärenz bei beiden Gruppen (Nicht-Durchführung der Übungen PT/BPA 3 vs. 8% nach 8 Wochen; 29 vs. 33% nach 6 Monaten und 47 vs. 51% und nach 12 Monaten) war akzeptabel. Patienten, welche besonders von einer Kortisoninjektion profitierten, hatten zu Beginn einen höheren SPADI-Score. Sie hatten also signifikant mehr Schmerzen und eine höhere Funktionseinschränkung. Die Patienten, welche bis zu 6 Sitzungen Physiotherapie erhielten, fühlten sich dafür insgesamt etwas besser betreut.
Hopewell und Kollegen analysierten ebenso die Kosten der verschiedenen therapeutischen Ansätze: Hier war Kortison + Best-practice-Advice der kosteneffektivste Ansatz, gemessen an den QALY (quality adjusted life-years). Anzumerken ist, dass dies nur für den NHS (National Health Service; UK) und den zugrunde liegenden Kosten in dem britischen System gelten kann.
Fazit
Hopewell und seiner Arbeitsgruppe ist hier eine methodisch sehr gut durchgeführte Studie gelungen. Einzig eine fehlende Kontrollgruppe ohne jegliche Beübung fehlte, sodass letztendlich ein Placeboeffekt durch jedwede Behandlung nicht ausgeschlossen werden kann. Eine Placebo-Cortisoninjektion fehlte ebenso, die Autoren führen aber an, dass Cortison in vorherigen Studien einem verabreichten Placebo überlegen sei (und sie deshalb hier darauf verzichteten).
Interessanterweise sind die Ergebnisse nach 12 Monaten etwas in Kontrast zu den Ergebnissen der SUPPORT-Trial3. Hier wurden in einem ähnlichen 2×2 Design die ultraschallgestützte Injektion des Kortisons vs. Injektion ohne Ultraschallführung in physiotherapeutisch beübten Patienten vs. Übungen nach einem Arbeitsblatt verglichen. Signifikante Unterschiede zeigten sich dort nach 6 Monaten in den Gruppen „Eigenübung“ vs. Physiotherapie, nach 12 Monaten ergaben sich keine Unterschiede mehr. Ebenso konnte in dieser Studie gezeigt werden, dass eine ultraschallgestützte Punktion keinen Vorteil erbrachte. Erklärbar ist dies durch ein schnelleres Erreichen eines niedrigeren SPADI-Scores (schon nach 6 Monaten) durch die Physiotherapie-Gruppe. Es sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass in SUPPORT die „Nicht-Physiotherapiebeübung“ tatsächlich nur die Aushändigung eines Arbeitsblattes war.
Somit kann gemutmaßt werden, dass eine umfangreichere Beratung („best practice advice“) durchaus in der Lage sein könnte, Patienten adäquat zu helfen. Leider ist dies Form der sehr aufwändigen Physiotherapie im deutschen Gesundheitssystem nach unserem Stand so nicht etabliert und wird nicht erstattet von Seiten der gesetzlichen Krankenkassen. Ebenso auffällig ist, dass sich in beiden Studien der SPADI-Score zwischen 6 und 12 Monaten nicht mehr großartig verändert. Hier gäbe es möglicherweise Raum für eine erneute ärztliche oder physiotherapeutische Untersuchung, das Erstellen eines angepassten Trainingsplanes oder das Umstellen der Schwerpunkte der Beübung.
Quellen
- Hopewell, S. et al. Progressive exercise compared with best practice advice, with or without corticosteroid injection, for the treatment of patients with rotator cuff disorders (GRASP): a multicentre, pragmatic, 2 × 2 factorial, randomised controlled trial. The Lancet 398, 416–428 (2021).
- Keene, D. J. et al. Development and implementation of the physiotherapy-led exercise interventions for the treatment of rotator cuff disorders for the ‘Getting it Right: Addressing Shoulder Pain’ (GRASP) trial. Physiotherapy 107, 252–266 (2020).
- Roddy, E. et al. Optimising outcomes of exercise and corticosteroid injection in patients with subacromial pain (impingement) syndrome: a factorial randomised trial. Br. J. Sports Med. 55, 262–271 (2021).