
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt Kindern und Jugendlichen von 5 bis 17 Jahren täglich 60 Minuten körperliche Aktivität. Zusätzlich sollten sie an drei Tagen in der Woche ein Krafttraining durchführen (WHO, 2010). Weitere nationale wie auch internationale Organisationen schließen sich dieser Forderung an (BISp, 2010; Behm et al., 2008; Faigenbaum et al., 2009, Faigenbaum et al., 2022). Trotzdem ist Krafttraining im Kindes- und Jugendalter in Deutschland (noch) ein umstrittenes Thema. Trainer von jungen Athleten zögern sowohl im Breiten-, als auch im Leistungssport bei der Implementierung von Krafttraining und viele Eltern stehen einem Krafttraining ihrer Kinder eher skeptisch gegenüber. Dies beruht oft auf der Annahme, ein Krafttraining im Kindes- und Jugendalter sei nicht effektiv und gesundheitsschädlich (Granacher et al., 2018). In diesem Artikel soll der aktuelle wissenschaftliche Stand in Bezug auf diese Thesen dargestellt und Empfehlungen für die Trainingspraxis mit jungen Athleten gegeben werden.
Auf einen Blick
- Ein altersgerechtes Krafttraining kann in Bezug auf eine Steigerung der Kraftausdauer und Maximalkraft sinnvoll eingesetzt werden, sobald ein Kind Anweisungen verlässlich aufnehmen sowie umsetzen kann und die koordinativen Fähigkeiten ausreichend ausgebildet sind. Das ist mit ca. 7 Jahren der Fall.
- Krafttraining im Kindes- und Jugendalter hat positive Auswirkungen auf Sprint- und Sprungleistungen
- Die Durchführung eines Krafttrainings mit dem primären Ziel der Muskelhypertrophie ist ab dem Eintritt in die Adoleszenz (14W/15M) als sinnvoll zu betrachten
- Bei einem altersgerechten Krafttraining besteht kein erhöhtes Risiko von Verletzungen der Wachstumsfugen sowie von allgemeinen Verletzungen.
- Ein Krafttraining kann Verletzungen vorbeugen. Hiervon profitieren vor allem junge Leistungssportler, sowie körperlich inaktive Kinder- und Jugendliche.
Ist Krafttraining im Kindes- und Jugendalter ineffektiv?
Da innerhalb des präpubertären Organismus im Vergleich zum Erwachsenen deutlich weniger anabol wirkende Hormonen (besonders Testosteron) zirkulieren, ging man lange davon aus, dass Krafttraining erst postpubertär sinnvoll eingesetzt werden kann.
Eine Vielzahl von Studien belegen hingegen unabhängig von dem Trainingszustand der Kinder oder Jugendlichen, den Belastungsnormativen und der trainierten Muskelgruppe, eine präpubertäre Steigerung der Maximalkraft, sowie der Kraftausdauer. Die erzielten relativen Steigerungen der Kraft von 30% bis 50% nach 8 bis 12 Wochen sind sogar vergleichbar mit den Kraftzuwächsen untrainierter Erwachsener (Blimkie, 1992; Dahab et al., 2009; Granacher et al., 2018). Zudem konnte gezeigt werden, dass ein Krafttraining zu verbesserten Sprint-, Sprung- und Wurfleistungen bei Kindern und Jugendlichen führt. Ein Übertrag konnte sowohl bei trainierten jungen Athleten, als auch bei weniger trainierten Kindern und Jugendlichen gezeigt werden. Der Transfer schien bei Kindern mit geringer Trainingserfahrung jedoch am größten zu sein (Behringer et al., 2011).
Eine Muskelhypertrophie konnte ebenfalls in einigen Studien nachgewiesen werden. Aufgrund der geringen Konzentration anabol wirkender Hormone ist die Vergrößerung des Muskelquerschnitts jedoch deutlich kleiner im Vergleich zu Adoleszenten und Erwachsenen und spielt bei der Kraftsteigerung eine untergeordnete Rolle (Behm et al., 2008). Die Kraftsteigerung ist daher hauptsächlich auf neuronale Prozesse zurückzuführen. Eine verbesserte intramuskuläre Koordination (Frequenzierung, Rekrutierung), sowie intermuskuläre Koordination (Zusammenspiel Agonist/Antagonist) sind hierbei die Adaptionsmechanismen (Behringer et al., 2011).
Ein altersgerechtes Krafttraining kann somit in Bezug auf eine Kraftsteigerung sinnvoll eingesetzt werden, sobald ein Kind Anweisungen verlässlich aufnehmen und umsetzen kann und die koordinativen Fähigkeiten ausreichend ausgebildet sind. Dies tritt im Durchschnitt mit ca. 7 Jahren ein. Allerdings kann das genaue Alter durch Unterschiede in der körperlichen, kognitiven und sozialen Reife stark variieren. Die Durchführung eines Krafttrainings mit dem primären Ziel der Muskelhypertrophie ist ab dem Eintritt in die Adoleszenz sinnvoll (Dahab et al., 2009, Faigenbaum et al., 2009).
Schadet Krafttraining der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen?
Die Annahme, dass Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen zu Überlastungsverletzungen der Epiphysenfugen und der umliegenden knöchernen Strukturen führt sowie mit einem allgemein hohen Verletzungsrisiko einhergeht, basiert hauptsächlich auf wissenschaftlichen Arbeiten aus den 70er und 80er Jahren, in denen der Kontext der Verletzungen nicht dokumentiert wurde. Daher ist es schwierig, diese Daten zu interpretieren. In Arbeiten, welche den Verletzungskontext mit einbezogen, zeigte sich, dass ein Großteil der Verletzungen auf mangelnde Technik, schlechtes Trainingsdesign, defektes Equipment oder auf einen Mangel an qualifizierten Trainern zurückzuführen ist (Dahab et al., 2009; Granacher et al., 2018).
Überlastungen treten vor allem im Wachstum auf
Es ist unumstritten, dass das kindliche Knochengewebe und das dort ansetzende Sehnengewebe aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Verknöcherung eine eingeschränkte Belastbarkeit besitzt. Besonders im Wachstumsspurt ist die Toleranz für repetitive mechanische Belastungen beschränkt, da die Empfindlichkeit des Gewebes sich proportional zur Wachstumsgeschwindigkeit verhält (Weineck et al., 2007). Dies geht mit einer hohen Inzidenz von Überlastungsverletzungen, vor allem Osteochondrosen (Morbus Osgood-Schlatter, Morbus Sinding-Larsen-Johansson, Morbus Sever;…), bei Athleten im Wachstumsspurt einher (Johnson et al., 2022; Launay, 2015; Schultz et al., 2022; Schütz et al., 2022).
Verletzungen beim Krafttraining von Kindern und Jugendlichen sind selten
Diese Überlastungsverletzungen treten in Teamsportarten wie Fußball, Handball oder Volleyball im Vergleich zum Krafttraining jedoch deutlich häufiger auf. In diesen Sportarten wirken bei Richtungswechseln, Sprints und Sprüngen für eine kurze Zeit Kräfte von dem bis zu achteinhalbfachen des Körpergewichts auf den Bewegungsapparat. Zudem ist der Belastungsumfang während eines Spiels sehr hoch: Während eines Spiels führt ein Fußballer beispielsweise bis zu 800 Richtungswechsel und ein Handballer bis zu 90 Sprünge durch (Taylor et al., 2017).
Die Belastungsintensität und der Belastungsumfang eines altersspezifischen Krafttraining auf den Bewegungsapparat ist im Vergleich deutlich geringer und gleichzeitig besser steuerbar (Achar & Yamanaka, 2019; Caine et al., 2006; Granacher et al., 2018; Launay, 2015; Schütz et al., 2022). Zudem kommt es in Teamsportarten häufig zu Kontaktverletzungen in Zweikämpfen oder unkontrollierten Aktionen nach Gegnerkontakt, welche in einem kontrollierten Krafttraining ausgeschlossen werden können. Dementsprechend ist die Gesamtverletzungsrate im Krafttraining deutlich geringer als in Teamsportarten wie beispielsweise Fußball (0,0035 vs. 0,014 Verletzungen pro 100 Stunden; Chaabene et al., 2020).
Krafttraining im Kindes- und Jugendalter beugt Verletzungen vor
Außerdem kann ein allgemeines Krafttraining einen großen Beitrag zur Prävention von Verletzungen leisten. In den letzten Jahren wird die Schere zwischen Kindern und Jugendlichen mit starkem Bewegungsmangel und jungen Athleten, welche eine frühe Spezialisierung in ihrem Leistungssport erfahren und körperlich übermäßig aktiv sind, immer größer. An beiden Enden des Spektrums besteht ein signifikant erhöhtes Verletzungsrisiko. In Studien konnte durch Krafttraining eine Reduktion der Verletzungen in diesen Risikogruppen von bis zu 68% gezeigt werden (Zwolski et al., 2017). Neben den präventiven, sowie leistungssteigernden Effekt, wirkt sich Krafttraining bei Kindern positiv auf die Knochendichte, die Körperzusammensetzung, das Selbstbewusstsein, sowie das allgemeine Wohlbefinden aus (Dahab et al., 2009; Launay et al., 2015).
Praxisempfehlungen für das Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen
Im Folgenden werden allgemeine Empfehlungen für ein Krafttraining mit Kindern und Jugendlichen gegeben (Behm et al., 2008; Faigenbaum et al., 2009).
In einem Krafttraining mit Kindern- und Jugendlichen sollte …
- … die Anleitung durch qualifizierte Trainer erfolgen.
- … für eine sichere Trainingsumgebung gesorgt werden.
- … für sicheres Trainingsequipment gesorgt werden.
- … der primäre Fokus zunächst auf einer adäquate Bewegungstechnik liegen.
- … zunächst das Volumen (Wiederholungen & Gesamtvolumen) und dann erst die Intensität gesteigert werden.
- … die Trainingsprogression und das Wohlbefinden des Athleten stets überwacht werden.
- … eine altersgerechte und individuelle Trainingsplanung erfolgen.
Empfehlungen für eine altersgerechte Trainingsplanung
Präpubertär (bis 12W/13M Jahre)
- Zirkeltraining ist Methode der Wahl bei kindesgemäßer Übungsauswahl
- Hohe Variabilität
- Spaß im Vordergrund
- Allgemeine und vielseitige Kräftigung der Hauptmuskelgruppen durch Übungen die das eigene Körpergewicht überwinden
- Optionale Zunahme von geringen Zusatzlasten
- Kann in Abhängigkeit der individuellen Leistungsfähigkeit abwechslungsreich und variationsreich zusammengestellt werden
- Kommt dem Bedürfnis der Kinder nach kurzfristigen Einzelleistungen entgegen
- Belastungs-/ Pausenverhältnis bei ½
- 5 bis max. 7 Stationen
Pubeszenz (12-14 W/ 13-15M)
- Ausgeprägter Längenwachstumsschub führt zu einer individuellen, mehr oder weniger ausgeprägten Disharmonie der Körperproportionen (adolescent awkwardness)
- Enorm verbesserte Trainierbarkeit der Kraft durch ersten Testosteronanstieg
- Hebelverhältnisse werden in Relation zum Leistungspotential der Muskulatur immer ungünstiger
- Einseitige Dauerbelastungen vermeiden und besonders auf eine adäquate Bewegungsausführung achten
- Technik der Grundübungen sollte hier vorbereitend geschult werden
- Kraftausdauertraining im Zirkel oder Satztraining
- Langsame bis moderate Bewegungsgeschwindigkeit
Adoleszenz (14-18 W/ 15-19M)
- Harmonisierung der Körperproportionen
- Zunehmende Ossifikation des Knochengewebes
- Sensibilität für Hypertrophie-Reize erhöht durch weiteren Testosteronanstieg
- Training weniger variabel, mehr (Sportart)spezifisch
- bei adäquater Bewegungstechnik konventionelles Hypertrophie-, Maximal- & Schnellkrafttraining möglich
Die oben beschriebenen Altersangaben gelten für normalentwickelte Kinder. Besonders um den Zeitpunkt des Pubertätseintritts gibt es oft erhebliche Unterschiede in der Entwicklung gleichaltriger Kinder. Hier können sich zwei Kinder gleichen Alters in ihrer biologischen Entwicklung um bis zu 6 Jahren unterscheiden (Malina et al., 2004). Es ist hier daher besonders sinnvoll, soweit möglich, das biologische Alter anstelle des chronologischen Alters als Referenzwert zu nutzen.
Zusammenfassung
Ein Krafttraining im Kindes- und Jugendalter ist also effektiv in Bezug auf die Maximalkraft, Kraftausdauer, sowie Sprint- und Sprungleistungen. Die Tatsache, dass die Leistungsdisposition des kindlichen bzw. jugendlichen Organismus im Bereich des Haltungs- und Bewegungsapparates gemindert ist, spricht nicht gegen, sondern für die Notwendigkeit einer Kräftigung der Muskulatur. Richtig angewandt kann ein Krafttraining Verletzungen vorbeugen – bei einem gleichzeitig geringen Verletzungsrisiko. Besonders für inaktive Kinder und Jugendliche und hochaktive junge Athleten ist eine Steigerung der Kraft demnach als sinnvoll zu betrachten. Eine rechtzeitige altersgemäße Ausbildung dieses physischen Leistungsfaktors ist für die spätere Lebensentwicklung von entscheidender Rolle.
Quellen
Achar, S., & Yamanaka, J. (2019). Apophysitis and Osteochondrosis: Common Causes of Pain in Growing Bones. American family physician, 99(10), 610–618.
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